Investieren, Sparen und Anlagen sind allgegenwärtige Themen geworden. Die Entwicklung der Anzahl privater ETF-Sparpläne hat sich allein in den Jahren 2014 bis 2021 um das 31-Fache gesteigert.[1]
Sowohl die Corona-Pandemie als auch die anhaltende Diskussion um die Rentenlücke und den demographischen Wandel haben hierzu maßgeblich beigetragen.[2] ETFs gelten dabei als das Anlageinstrument des 21. Jahrhunderts und mit Robo-Advisern und Neobrokern wird das private Investieren zunehmend vereinfacht.[3] Während das Angebot, Interesse und Flexibilität steigen, sinken Kosten und Komplexität des Investierens zunehmend.
Dem entgegen stehen die in der Verhaltensökonomie zu findenden irrationalen, subjektiven oder ineffizienten Verhaltensweisen der Marktteilnehmer.[4]
Die Finanzmärkte sind von Natur aus volatil und unberechenbar.[5] Die Verlockungen für Investoren sind groß. Sei es der Versuch, den bestmöglichen Ein- und Ausstiegszeitpunkt für ihre Geldanlage zu finden (Market-Timing) oder die Suche nach den Outperformer-Aktien (Stock-Picking).
Ziel ist es immer den Markt (oder die Arbeitskollegen) zu schlagen und überdurchschnittliche Gewinne zu erzielen. Am besten in möglichst kurzer Zeit.
Dabei indiziert die Finanzwissenschaft, dass genau das zu massiven Verlusten führt. Um diese Verluste zu vermeiden, müssen wir zuerst verstehen, welchen Denkfehlern Privatanleger häufig aufsitzen.
Markettiming
Market Timing ist der Versuch, die kurz- und mittelfristigen Kursbewegungen zu prognostizieren, um bessere Kauf- und Verkaufszeitpunkte zu finden.[6]
Und genau hier liegt das Problem: Es handelt sich um einen Versuch. Die Zukunft ist nicht vorhersehbar. Genau so wenig sind es die Aktienkurse oder wer hätte im Herbst 2019 einen Kurseinbruch des MSCI World um über 30 % vorhersehen können?
Die Frage kommt allerdings regelmäßig in Beratungsgesprächen und von Kunden: „Soll ich jetzt investieren oder noch warten?“ Beantworten lässt sich diese Frage am einfachsten anhand eines Beispiels.
Legt ein Anleger sein Geld über 30 Jahre (also circa 11.000 Tagen) in den US-Amerikanischen S&P 500 an, so erhält er im Schnitt 8,4 % Rendite. Das gilt allerdings nur für diszipliniertes Buy`n`Hold.
Verpasst ein Anleger über ständiges Kaufen- und Verkaufen nur die besten 5 Handelstage, sinkt seine Rendite auf 6,9 %. Bei Verpassen der besten 20 Tage halbiert sich die Rendite sogar.
Bei 5 von 11.000 Tagen und ständigem Investiert-Sein und Nicht-Investiert-Sein sprechen alle Wahrscheinlichkeiten dagegen, genau diese 5 Tage mitzunehmen.
Stock-Picking
Beim Stock-Picking werden gezielt einzelne Wertpapiere gekauft, in der Erwartung oder Hoffnung, dass diese sich besser als der Gesamtmarkt entwickeln.[7]
Auch hier lässt sich ein ähnliches Beispiel aufstellen wie beim Market-Timing.
Weltweit sind etwa 43.000 Unternehmen an den Börsen gelistet. Hinzu kommen über drei Millionen Indizes.[8] Vereinfachend betrachten wir nur den Russel-3000-Index, der die größten 3000 US-Amerikanischen Unternehmen abbildet. Wenn wir uns anschauen, wie sich die Anzahl der Outperformer im Vergleich zum Gesamtmarkt verhalten fallen zwei Dinge auf:
Erstens haben 40 % aller Aktien einen absoluten Verlust verbucht und zwei Drittel aller Aktien liefen schlechter als der Markt-Durchschnitt. Zweitens konnten nur 7 % aller Unternehmen den Markt um ein vielfaches Outperformen.
Wie bei der Wahrscheinlichkeit für das richtige Anlagetiming stellt sich auch hier die Frage ob es mir gelingt bei 5, 10 oder 100 Positionen im Portfolio genau auf diese 7 % der Outperformer zu setzen.
Die Wahrscheinlichkeit extreme Überrenditen zu erzielen ist also auch durch Stock-Picking verschwindend gering.
Optimale Anlagestrategie
Grundannahme der klassischen Asset-Allokation – also der Entscheidung wo das eigene Geld investiert oder angelegt wird – ist, dass ein Investor Rendite maximieren und Schwankungen (Varianz) der Renditen vermeiden möchte.[9]
Ziele der sparenden Personen oder Haushalte können dabei die Altersvorsorge, das Eigenheim oder ein Sabbatical sein. Vielleicht auch einfach, die Vermögenssicherung gegen Inflation und Wertverlust auf dem Konto.
Sowohl zum Market-Timing als auch dem Stock-Picking kennt die Finanztheorie deshalb klare Gegenentwürfe, die zum Erfolg führen.
Grundlage für diese Strategie ist die Informationseffizienz. Das bedeutet, dass alle bekannten Informationen in den Handelspreisen schon enthalten ist. Es ist dann langfristig unmöglich bei der Anlage Renditen oberhalb des Gesamtmarktdurchschnitts zu erzielen.[10]
Anders ausgedrückt: Mit bekannten Informationen lässt sich kein Geld verdienen.
Und was niemand weiß, ist reine Spekulation und Hoffnung auf die Entwicklung des Marktes oder einzelner Aktien. Die Empirie der Finanzmarktuntersuchungen bestätigt diese sogenannte Effizienzmarkthypothese.[11]
Hinzu kommt der Grundsatz der Diversifikation im Sinne der Vermeidung unkompensierter Risiken. Eine möglichst breite Streuung sowohl innerhalb einer Anlageklasse als auch über viele Anlageklassen hinweg ist dabei der Gegenentwurf zum Heraussuchen einzelnen Aktien.
Weit verbreitet ist dazu die Anekdote den gesamten Heuhaufen (den Weltmarkt) zu kaufen, statt nach der Nadel im Heuhaufen (einzelne Outperformer) zu suchen.
Risiko und Rendite lassen sich dann auf lange Zeiträume durch den Anleger sinnvoll durch die Wahl der richtigen Anlageklasse steuern. Voraussetzung dafür sind effizientes Marktverhalten, Diversifikation und Buy`n`Hold statt Stock-Picking, Fund-Picking und Market-Timing.[12]
Das bedeutet, dass theoretisch jeder Anleger durch den Einsatz der richtigen Indexfonds und Exchange Traded Funds (ETF) oder Exchange Traded Commodities (ETC) relativ einfach sein optimales Portfolio entwickeln kann.[13]
Anlageerfolge in der Praxis
Soweit die Theorie. Aber sind Methodiken wie Market-Timing und Stock-Picking in der Praxis zu finden oder investieren Anleger vollkommen rational?
In einer Befragung der Aktion pro Aktie aus dem Jahr 2022 geben fast die Hälfte der Anleger an über 20 Transaktionen pro Jahr durchzuführen.[14]
Dasselbe Ergebnis lässt eine Studie des Deutschen Investor Relations Verbandes (DIRK) erkennen. 8,8 % der befragten kaufen oder verkaufen wöchentlich ihre Positionen, 0,9 % sogar täglich.[15]
Selbst wenn ein monatlicher Sparplan ausgeführt wird, sind das deutlich zu viele Transaktionen. Bhattacharya et al. Untersuchen das für unterschiedliche Gruppen von ETF-nutzern und kommen zu dem Schluss, dass gerade mit der Verwendung von ETFs die Umschichtungsquote des Portfolios (insbesondere im ETF-Anteil) höher ist als optimal. Alle Arten von Anlegern verlieren im Schnitt Rendite, weil Sie weder einen konsequenten Buy`n`Hold-Ansatz verfolgen.[16]
Aus den Untersuchungen des DIRK lässt sich ebenso klar erkennen, dass die Mehrheit der Portfolien nicht ausreichend diversifiziert sind. Die Single-Stock-Quote unter den Anlegern liegt in der Befragung des DIRK bei 65,1 %. Dazu kommt für diese Einzelaktien-Investoren eine geringe Anzahl an Aktien im Portfolio, so halten weniger als 20 % mehr als 10 Titel.[17] Mit einem Schnitt auf das Gesamtportfolio der Anleger von 60 % Einzelaktien und 26 % ETFs kommt auch die DIW-Studie zum gleichen Ergebnis.[18]
In der Studie „Abusing-ETFs“ zeigen Bhattacharya et al. sogar, dass die Portfoliodiversifikation der meisten Anleger sich durch ein zusätzliches Investment in ETFs tendenziell sogar verschlechtert.[19]
Warum ist das so?
Wir sind anfällig dafür Muster und falsche Schlussfolgerungen aus zufälligen Ereignissen zu ziehen.
Anleger fallen oft der Illusion zum Opfer, dass vergangene Ereignisse Vorhersagen über zukünftige Marktveränderungen ermöglichen. So genannte Black Swan-Ereignisse sind per Definition unvorhersehbar und können nicht durch zurückliegende Daten erklärt werden.
Psychologische Faktoren wie übermäßiges Vertrauen in das eigene Wissen und die Tendenz, vergangene Erfolge als Indikatoren für zukünftige Entwicklungen zu betrachten (sog. Hot Hand Fallacy), können dazu führen, dass Market-Timing und Stock-Picking genutzt werden.[20]
Ein weiterer Grund für Market-Timing und Stock-Picking sind Nervenkitzel, Hobby oder kurzfristige Gewinne. Solcherlei ineffizientes Verhalten ist vor allem bei jungen männlichen Anlegern zu beobachten.[21]
Auch in der DIW-Studie geht es 34 % der Anleger um kurzfristige Gewinne (im Vergleich zu 15,3 % in der DIRK-Studie) und um den Performance-Vergleich der Anlage mit Freunden. Der Gambling-Effekt[22] innerhalb der eigenen Peer-Group ist damit bei einem großen Teil der Anleger sicher Mitgrund für ineffizientes Verhalten.
Dieser Herding- oder Peer Group-Effekt – also das blinde Vertrauen in Informationen anderer und dem uneingeschränkten Nachmachen solcher Entscheidungen – zeigt sich auch in den Communities beliebter FinFluencern.[23]
Fazit
Market-Timing und Stock-Picking gefährden die Rendite und die Sicherheit der Investoren.
Simples Buy`n`Hold eines einfachen Weltportfolios oder Weltindizes führt zu deutlich besseren Ergebnissen als die Suche nach der Nadel im Heuhaufen oder dem optimalen Anlagezeitraum.
Trotzdem schaffen es Anleger in der Praxis selten, das umzusetzen. Grund dafür sind vor allem typische Verhaltensfehler oder Wahrnehmungsverzerrungen, mit denen sich die Verhaltensökonomie seit Jahrzehnten beschäftigt.
Diese sogenannten „Bias“ zu kennen ist vermutlich der erste Schritt Sie auch in der Praxis zu vermeiden und erfolgreich zu investieren.
Unterstützung gibt es dabei durch unsere Spezialisten. In einem ersten Kennenlerngespräch schauen wir, wie wir Dich dabei individuell unterstützen können.
Literaturhinweise
Alexander, Volbert (1998): Geldpolitik und Volatilitäten auf Finanzmärkten. Spekulation, Preisbildung und Volatilitäten auf Finanz- und Devisenmärkten, Band 257, Berlin.
Jakob, Michael C., AlleAktien Lexikon, entnommen am 07.12.2023 von https://www.alleaktien.de/impressum
Aktion pro Aktie (2022): Aktienkultur in Deutschland. Bevölkerungsbefragung 2022. Entnommen am 07.12.2023 von https://www.aktion-pro-aktie.de/aktienstudie-2022/
Bhattacharya, Utpal; Loos, Benjamin; Meyer, Steffen; Hackethal, Andreas (2016): Abusing ETFs. Review of Finance, 1217-1250.
Bhattacharya, Utpal; Loos, Benjamin; Kaesler, Simon; Meyer, Steffen; Hackethal, Andreas (2011): Is Unbiased Financial Advice to Retail Investors Sufficient? Anwsers from a Large Field Study. Review of Financial Studies, 2011, 25(4), 975-1032.
Calvet, Laurent E.; Campbell, John Y.: Sodini, Paolo (2007): Down or Out: Assessing the Welfare Costs of Household Investment Mistakes. The Journal of Political Economy, Vol 115, No.5, 707-747.
Cronqvist, Henrik; Siegel, Stephan (2014): The genetics of investment biases. Journal of Financial Economics, 113, 215-234.
Impekoven, Christoph; Zeranski, Stefan (Hrsg.); Reuse, Svend (Hrsg.) (2013): Software-Entwicklung für dynamische Portfolioallokation und Risikomanagement, Springer-Gabler, Wiesbaden.
Jonas, Hanna; Hoffmann, Christian P.; Binder-Tietz, Sandra (2022): Kapitalmarktkommunikation für die neue „Generation Aktie“. Eine empirische Untersuchung der Anforderungen junger Privatanleger:innen an die Kommunikation von Aktiengesellschaften und Finanzdienstleistern, Center for Research in Financial Communication, DIRK – Deutscher Investor Relations Verband e.V.
Jordan, Markus (03/2022): ETF-Sparplanmarkt 2026. So investieren Privatanleger in ETFs. ExtraETF, entnommen am 07.12.2023 von https://de.extraetf.com/wissen#studien-und-research
Jordan, Markus (11/2022): ETF-Retail-Marktreport Oktober 2022. ExtraETF, entnommen am 07.12.2023 https://de.extraetf.com/wissen#studien-und-research
Kritikos, Alexander; Handrich, Lars; Gorgels, Stefan; Priem, Maximilian; Morales, Octavio (2022): Hype or New Normal? Insights into the motives and behavior of a new generation of investors. DIW Econ, Berlin.
Mankiw, Nicholas Gregory (2021): Grundzüge der Volkswirtschaftslehre. 8. Auflage, Schäffer-Poeschel Verlag 1958, Stuttgart.
Markowitz, Harry (1952): Portfolio Selection. The Journal of Finance, Vol. 7, No. 1, 77-91.
Rottwilm, Christoph (2018): Zahl der Indizes übersteigt Zahl der Aktien um das 70fache, Manager-Magazin. Entnommen am 07.12.2023 von https://www.manager-magazin.de/finanzen/artikel/dax-und-co-zahl-der-indizes-uebersteigt-zahl-der-aktien-um-das-70fache-a-1189342.html
Vanguard (2020): Der Wert von Beratung: 7 wertstiftende Komponenten im Überblick. Vanguard Research, Valley Forge.
Sattar, Atif Muhammad, Toseef, Muhammad, Sattar, Muhammad Fahad (2020): Behavioral Finance Biases in Investment Decision Making. International Journal of Accounting, Finance and Risk Management, 5(2), 69-75.
Tokat, Yesim (2005): The Asset Allocation Debate: Provocative Questions, Enduring Realities. The Vanguard Group, Valley Forge.
Wenke, Thorsten: Stockpicking, Gabler Bankenlexikon. Entnommen am 07.12.2023 von https://www.gabler-banklexikon.de/definition/stockpicking-61646
Xing, Frank Z.; Cambria, Erik; Welsch, Roy E. (2018): Intelligent Asset Allocation via Market Sentiment Views. IEEE Computational Intelligence Magazine, 25-34.
[1] Jordan, 2022; S.14
[2] vgl. Aktion pro Aktie, 2022; S. 7
[3] Jordan, 03/2022; S. 15
[4] vgl. Impekoven, 2013; S. 6; Bhattacharya et. al., 2011, S. 1
[5] Volbert, 1998, S. 95.
[6] AlleAktien, Market Timing
[7] Wenke, Stockpicking
[8] Rottwilm, Manager Magazin
[9] Markowitz, 1952; S. 77
[10] Impekoven, 2013; S. 5
[11] Mankiw, 2021; S. 648
[12] Yesim, 2005; S. 2
[13] vgl. Calvet et al., 2007; S. 721; Becker, Bönner, 2015; S. 230
[14] Aktion pro Aktie, 2022; S. 56
[15] Jonas et al., 2022; S. 35
[16] Bhattacharya et al., 2017, S. 1247
[17] Jonas et al., 2022; S. 8
[18] vgl. Abb.19; Kritikos et al., 2022; S. 25
[19] Bhattacharya et al., 2017, S. 1247
[20] vgl. Cronqvist, Siegel, 2014; S. 216; Sattar et al., 2020; S. 70
[21] vgl. Jonas, 2022; S. 38
[22] Bhattacharya et al., 2011; S. 2
[23] vgl. Sattar, 2020; S. 70